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J A Z Z
Vijay Iyer Trio
BREAKSTUFF
ECM
/Universal CD
(V
.Ö
.: 16.1.)________ (70')
Es braucht mitunter nur zwei Kla-
viertöne, um einen Raum abzuste-
cken, ein modales Aktionsfeld, in
dem sich rhythmische Volten ab-
spielen. Aber dieses Beharren, die-
ser unerbittliche Puls kann über Mi-
nuten gehen, ja, leicht moduliert
ein ganzes Stück („Hood“) ausma-
chen. Das ist eben das Besondere
am Vijay Iyer Trio, das sich so von
anderen Spitzenformationen ab-
setzt: Vom Keith Jarrett- und Brad
Mehldau Trio, die oft erzählerischer
sind, melodischer, konservativer.
„Hood“ jedenfalls ist eine Hom-
mage an den Minimal Techno-Pro-
ducer und DJ Robert Hood, dessen
Musik Iyer bewundert. Wegen ihrer
rhythmischen Überschneidungen,
wegen des elektronischen Sounds.
Ein musikalischer Referenzpunkt,
den Iyer am Flügel, Stephan Crump
am Bass und Marcus Gilmore am
Schlagzeug in einen akustischen
Rahmen versetzen.
Ahmad Jamal, Andrew Hill, Duke
Ellington, auch James Browns
Rhythmsection, Hendrix’ Band of
Gypsys oder Soul-Music aus den
i
9 7
oern - alles Einflüsse, zu denen
sich Iyer bekennt. Es ist ein Wunder,
dass die neue CD keineswegs stilis-
tisch zerfällt, sondern einen Raum
öffnet, den diese Formation pass-
genau ausfüllt. Hörbar nähert sich
Iyer Gottvater Thelonious Monk,
indem er sich in „Work“ bis in die
Hand-und Fingerstellung des ge-
nialen Autodidakten hineindenkt.
„Countdown“ hingegen zeitigt ein
Coltrane-gefärbtes Duo zwischen
lyer und Drummer Gilmore, der hier
anfänglich wie Ed Blackwell agiert,
leichtfüßig, irregulär und doch un-
geheuer pointiert. Schließlich en-
det das Album schwärmerisch mit
einer schönen Trio-Ballade. lyer de-
finiert seine eigene Kategorie. Mit
diesem Tausendsassa jedenfalls ist
weiterhin ganz vorn zu rechnen!
Tilman Urbach
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
Kenny Wheeler
SONGS FOR QUINTET
ECM
/Universal CD
(V.Ö
.: 16.1.)
Beim Abmischen der Aufnahmen
konnte Kenny Wheeler schon nicht
mehr dabei sein, zwei Wochen da-
rauf starb er
8 4
-jährig in einem Lon-
doner Pflegeheim. Mit diesem Al-
bum ist der große Trompeter und
Komponist noch einmal bei dem
Label, dessen Ästhetik er einst prä-
gen half. Seine melodiösen Themen
lässt er jetzt gern von dem Tenoris-
ten Stan Sulzman doppeln, doch
wirkt sein Ton auf dem Flügelhorn
nie wirklich geschwächt, und be-
wegend war er schon immer. Ins
Quintett holte sich Wheeler füh-
rende Musiker der britischen Sze-
ne, und so stimmt sein Vermächtnis
den Hörer nicht einfach melancho-
lisch, sondern gerät großartig.
klm
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
Matt Brewer
MYTHOLOGY
Criss Cross/HM
CD______________ (58]
Bislang konnte man den Bassisten
Matt Brewer bevorzugt in Bands
hören, die offen für neue musika-
lische Erfahrungen sind. Insofern
verwundert es nicht, dass er für
sein Debüt als Leader die Crème
experimentierfreudiger Künstler
im Studio um sich scharte. Eben-
so erstaunlich sind seine Kompo-
sitionen, die wie „Rose Hill“ und
„Sun Symbol“ in reizvolle Klang-
welten führen, wobei der Sound
der beiden Saxophonisten mit
Brewers dunklen Basslinien ver-
schmilzt. In dem durchweg ruhigen
Geschehen ergänzen die hellen Mo-
tive des Pianisten die des Gitarris-
ten zu zeitgemäßem Modern Jazz.
G.F.
MUSIK
KLANG
Lisa Simone
ALL IS WELL
Laborie/Edel CD
(49
')
Nach veritabler Broadway-Karrie-
re setzt Nina Simones Tochter Lisa
(
52
) verstärkt auf ihr Singer/Song-
writer-Talent. Ihr erstes Album war
eine Hommage an die Mutter; jetzt
greift sie nur kurz in deren Reper-
toire („Ain’t Got No I Got Life“), ar-
beitet aber in persönlich gehaltenen
Lyrics die nicht immer einfache Be-
ziehung zu ihr auf („Child In Me“).
Ähnlich wie Nina, aber doch mit ei-
gener Note, bewegt sich Lisa zwi-
schen Jazz, Soul, R&B und nimmt in
einem Text ihres Gatten schon mal
die Weltlage in den Blick („Revolu-
tion“). Bester Song: eine westafri-
kanisch inspirierte Groove-Version
von Leonard Cohens „Suzanne“.
klm
MUSIK ★ ★
KLANG
★ ★ ★ ★
Enrico Pieranunzi
AUTOUR DE MARTINU
TCB/NAI CD
(61
')
Bei den Baseler Martinu-Festtagen
20 13
baute der italienische Pianist
Enrico Pieranunzi sein Programm
um Stücke des Festival-Namens-
gebers Bohuslav Martinu herum,
dessen improvisatorische Grund-
haltung und Prägung durch Jazz
und Blues ihn faszinieren. Er stell-
te die Nummern des Tschechen -
plus solche von Händel und Scar-
latti - im Original vor, um dann mit
deren Motiven zu spielen und die
Kompositionen auf das Verfahren
zurückzuführen, dem sie entspran-
gen: die Improvisation, diesmal jaz-
ziger Art. „Polka in A“ etwa groovt
ansatzweise schon im Original; Pie-
ranunzis Reflektion darüber ist ein
zeitgemäßes Stück Jazz.
klm
MUSIK
KLANG
★ ★ ★
Steve Lacy Four
MORNING JOY .
.. PARIS LIVE
Hatology/HM CD_______________(76)
Paris, Sunset Club,
9
. Februar
198 6
- vier Musiker, die alles geben: ne-
ben Steve Lacy am Sopran- Ste-
ve Potts am Alt- und Sopransaxo-
phon, dann Lacys altgedienter Bas-
sist Jean-Jacques Avenel, schließ-
lich Oliver Johnson am Schlag-
zeug. Tatsächlich vermittelt sich
hier so etwas wie die Atmosphä-
re alter Charlie Parker-Aufnahmen.
Die Zwiesprache der Bläser: eks-
tatisches Geschnatter, entgrenzte
Skalenläufe, aber auch zärtliches
Miteinander. Ein Wettstreit, bei dem
Potts zum Gipfelstürmer mutiert,
und Lacy, ein Kosmos ganz für sich
selbst, abgeklärter agiert. Lacy war
ein Monolith - hier hört man es.
T.U.
MUSIK
★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
128 STEREO 2/2015
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht